
THC am Steuer: Neuer Grenzwert, alte Mythen – aktuelle Urteile im Check
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Seit dem 22.8.2024 gilt in Deutschland ein gesetzlicher THC‑Grenzwert von 3,5 ng/ml – was er bedeutet, welche Urteile prägen und welche Mythen weiter kursieren.
Was jetzt wirklich gilt
Deutschland hat erstmals einen gesetzlichen THC‑Grenzwert im Straßenverkehr: Wer mit 3,5 ng/ml oder mehr THC im Blutserum fährt, begeht eine Ordnungswidrigkeit – flankiert von einem konsequenten Mischkonsum‑Regime und Sonderregeln für junge Fahrende. Das Gesetz wurde am 21. August 2024 verkündet und trat am 22. August 2024 in Kraft, womit die jahrelange Praxis eines bloß „analytischen Nachweisgrenzwertes“ von 1,0 ng/ml durch eine klare, wissenschaftsbasiert begründete Schwelle ersetzt wurde. Der neue Wert folgt der Empfehlung einer unabhängigen Expertengruppe und liegt nach Regierungsangaben in einem Bereich, dessen Risiko mit etwa 0,2 Promille Alkohol vergleichbar ist, ohne das Unfallrisiko über die Schwelle signifikanter Erhöhung zu heben. Wichtig: In der Probezeit und bis 21 Jahre gilt ein Cannabis‑Verbot am Steuer; bei Mischkonsum drohen schärfere Sanktionen, und die Botschaft bleibt eindeutig: „Don’t drive high.“adac
Hauptteil: Neuer Grenzwert, neue Praxis – und was die Gerichte daraus machen
Die Reform zielt auf Rechtssicherheit und Verhältnismäßigkeit: Der Grenzwert von 3,5 ng/ml soll eine verkehrsrelevante Beeinträchtigung wahrscheinlicher machen, statt bloß Konsumreste zu sanktionieren, die noch Tage nach dem Kiffen messbar sein können. Parallel bekräftigt die Politik: Mischkonsum ist besonders gefährlich, weshalb für Cannabiskonsumierende am Steuer ein Alkoholverbot gilt; Fahranfängerinnen und -anfänger bleiben im Null‑Toleranz‑Regime. In der Rechtsprechung zeigt sich die Zäsur deutlich: Das OLG Oldenburg hob am 29. August 2024 ein Urteil wegen 1,3 ng/ml auf und sprach frei – lex mitior, also das mildere neue Recht, war anzuwenden. Vergleichbare Freisprüche und Einstellungen bei Werten unter 3,5 ng/ml sind dokumentiert, was Altfälle ordnungswidrigkeitenrechtlich neu justiert. Zugleich wächst der politische Diskurs weiter: Berlin diskutiert 2025 strengere Grenzwerte, was den föderalen Spielraum und gesellschaftlichen Aushandlungsbedarf unterstreicht.lto
Basis‑Infos
- Geltung: Seit 22.8.2024 ist 3,5 ng/ml THC im Blutserum als gesetzlicher Grenzwert in § 24a StVG verankert.
- Ziel: Wissenschaftlich begründete, verhältnismäßige Schwelle statt bloßer Nachweisbarkeit; Vergleichbarkeit mit etwa 0,2 Promille.
- Fahranfänger: In Probezeit und bis 21 Jahre gilt ein Cannabis‑Verbot am Steuer unabhängig vom Messwert.
- Mischkonsum: Für Cannabiskonsumierende gilt am Steuer ein Alkoholverbot; Verstöße sind besonders sanktioniert.
- Sanktionen: Ab 3,5 ng/ml drohen regelmäßig 500 Euro, ein Monat Fahrverbot und zwei Punkte; bei Mischkonsum typischerweise 1.000 Euro.
- Alte Rechtslage: Zuvor galt gerichtlich ein analytischer Nachweisgrenzwert von 1,0 ng/ml ohne gesetzliche Norm.
- Lex mitior: Für nicht rechtskräftige Altfälle unter 3,5 ng/ml kommen Freispruch/Einstellung in Betracht.
- Legalisierungskontext: Cannabis ist seit 1.4.2024 teilweise legal; die Straßensicherheit bleibt dennoch leitend.
- Politikprozess: Bundestag beschloss am 6.6.2024, Bundesrat billigte am 5.7.2024; Verkündung am 21.8.2024.
- Debattenlage: Länder wie Berlin erwägen strengere Vorgaben – das Thema bleibt in Bewegung.
Tipps
- Nüchtern fahren: Keine Fahrt unter akuter Wirkung – die 3,5‑ng/ml‑Schwelle ist kein Freifahrtschein, sondern ein Wirkungsgrenzwert zur Risikoabgrenzung.
- Mischkonsum strikt vermeiden: Alkohol plus THC erhöht Risiken und Sanktionen erheblich; am besten getrennt halten und Wege planen.
- Junge Fahrende: In Probezeit/unter 21 Jahren gilt faktisch Null‑Toleranz – nüchtern bleiben und rechtliche Folgen bedenken.
- Planung statt Improvisation: ÖPNV, Taxi oder Fahrgemeinschaften einplanen, wenn Konsum möglich ist – so bleibt Mobilität legal und sicher.
- Verfahren prüfen lassen: Bei Altfällen unter 3,5 ng/ml anwaltlich klären, ob das mildere Recht zur Einstellung/Freispruch führt.
- Informationslage checken: Offizielle Seiten fortlaufend verfolgen, da Bundesländer zusätzliche Regelungen diskutieren.
- Prävention ernst nehmen: Aufklärung über Reaktionszeit‑ und Aufmerksamkeitsdefizite bei Cannabis hilft, Risiken realistisch einzuschätzen.
Fakten
- Inkrafttreten: Das Gesetz wurde am 21.8.2024 verkündet und gilt seit 22.8.2024 bundesweit.
- Normtext: § 24a Abs. 1a StVG sanktioniert das Fahren mit mindestens 3,5 ng/ml THC im Blutserum.
- Junge Fahrende: Absolutes Cannabis‑Verbot am Steuer in Probezeit und bis 21 Jahre.
- Mischkonsum: Für Cannabiskonsumierende gilt am Steuer ein Alkoholverbot; Regelsanktionen bei Verstößen sind erhöht.
- Sanktionen: Regelfall 500 Euro, ein Monat Fahrverbot, zwei Punkte; bei Mischkonsum regelmäßig 1.000 Euro.
- Politische Etappen: Bundestag 6.6.2024 beschlossen, Bundesrat 5.7.2024 gebilligt, Bundesgesetzblatt 21.8.2024.
- Rechtsfortbildung: OLG Oldenburg (29.8.2024) wendete lex mitior an und sprach bei 1,3 ng/ml frei.
- Diskurs 2025: Berlin strebt strengere Grenzwerte an; Regelwerk bleibt politisch umkämpft.
FAQ
Frage: Seit wann gilt der neue THC‑Grenzwert – und für wen genau?
Antwort: Der gesetzliche Grenzwert von 3,5 ng/ml THC im Blutserum gilt seit dem 22. August 2024 für alle Verkehrsteilnehmenden, die ein Kraftfahrzeug führen, womit der frühere, nicht‑gesetzliche Richtwert von 1,0 ng/ml aus der Rechtsprechung abgelöst wurde. Er basiert auf einer interdisziplinären Expertise und wurde vom Bundestag beschlossen und vom Bundesrat gebilligt, bevor die Verkündung im Bundesgesetzblatt erfolgte. Für Fahranfängerinnen und Fahranfänger in der Probezeit sowie für alle unter 21 Jahren gilt jedoch ein eigenständiges Cannabis‑Verbot am Steuer, unabhängig davon, ob der Messwert unterhalb der 3,5‑ng/ml‑Grenze liegt. Zudem hat der Gesetzgeber wegen der besonderen Risiken des Mischkonsums für Cannabiskonsumierende am Steuer ein Alkoholverbot vorgesehen, sodass selbst geringe Alkoholmengen in Kombination rechtliche Konsequenzen auslösen können. Wer unter akuter Wirkung steht, sollte ohnehin konsequent auf das Fahren verzichten – die Schwelle ist ein Instrument der Verhältnismäßigkeit, kein Freibrief.
Frage: Was bedeuten die neuen Regeln für Altfälle – lohnt sich ein Rechtsmittel?
Antwort: Ja, das kann sich lohnen, wenn das Verfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen ist und der THC‑Wert unter 3,5 ng/ml lag, denn im Ordnungswidrigkeitenrecht gilt der Grundsatz des mildesten Gesetzes. Exemplarisch hob das OLG Oldenburg am 29. August 2024 eine frühere Verurteilung wegen 1,3 ng/ml auf und sprach frei, weil das neue Recht die Schwelle auf 3,5 ng/ml anhob und damit günstiger war. Auch aus der anwaltlichen Praxis werden Einstellungen nach § 24a StVG berichtet, wenn Messwerte die neue Grenze nicht erreichen und die Entscheidung erst nach dem Inkrafttreten fällt. Wer betroffen ist, sollte Aktenlage, Messmethode und zeitlichen Ablauf fachkundig prüfen lassen, denn Details der Beweislage und der Verfahrensstadien entscheiden über Erfolgsaussichten. Wichtig bleibt: Jenseits 3,5 ng/ml oder bei Mischkonsum greifen weiterhin Sanktionen, die nicht durch das neue Recht aufgehoben werden.
Frage: Ist unter 3,5 ng/ml alles bedenkenlos – und wie gefährlich ist Mischkonsum wirklich?
Antwort: Unterhalb von 3,5 ng/ml liegt keine Ordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 1a StVG vor, doch die politische und verkehrsmedizinische Botschaft bleibt klar: „Don’t drive high“, denn kognitive und motorische Einschränkungen können trotz niedriger Werte auftreten. Der neue Grenzwert soll vor allem Konsumreste ohne Verkehrsrelevanz aussortieren; er ist kein Garant für Fahrtüchtigkeit im Einzelfall. Besonders riskant ist Mischkonsum – daher das Alkoholverbot für Cannabiskonsumierende am Steuer und erhöhte Regelsanktionen, wenn Alkohol hinzukommt. Empfohlen wird, Konsum und Fahren strikt zu trennen, Wege vorauszuplanen und im Zweifel auf alternative Mobilität umzusteigen, um sich selbst und andere nicht zu gefährden. Wer noch in der Probezeit ist oder unter 21 Jahre alt, sollte wissen: Hier gilt ein eigenes Verbot, unabhängig vom konkreten Messwert.
Weiterführende Links
- ADAC: Cannabis am Steuer kurz erklärt (Grenzwert, Sanktionen, Mischkonsum, Prävention kompakt)
https://www.adac.de/news/cannabis-am-steuer/ - BMDV: Gesetzlicher THC‑Grenzwert verkündet (Inkrafttreten, Begründung, Sonderregeln)
https://www.bmv.de/SharedDocs/DE/Artikel/K/sechstes-gesetz-zur-aenderung-des-strassenverkehrsgesetzes-verkuendet.html - OLG Oldenburg: Freispruch nach Gesetzesänderung (lex mitior bei 1,3 ng/ml)
https://oberlandesgericht-oldenburg.niedersachsen.de/startseite/aktuelles/presseinformationen/freispruch-nach-gesetzesanderung-neue-cannabis-regeln-bewahren-vor-fahrverbot-235488.html - BMG: FAQ Cannabisgesetz (Rahmen, Schutzkonzept, Themenüberblick)
https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/cannabis/faq-cannabisgesetz.html - Bundestag: Erhöhung des Cannabis‑Grenzwertes (Ausschuss‑ und Parlamentsdokumentation)
https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2024/kw23-pa-verkehr-cannabis-1003426
Kritik
Die Reform beendet die Ära der bloßen analytischen Nachweisbarkeit als Sanktionsauslöser – ein Gewinn an Fairness –, doch sie verdrängt nicht die ethische Kernfrage: Wie präzise spiegelt ein per‑se‑Grenzwert die tatsächliche Fahrtüchtigkeit wider. Der Staat setzt auf ein konservatives, wissenschaftlich begründetes Maß, das Restkonsum ohne Verkehrsrelevanz ausfiltert, aber individuelle Unterschiede in Metabolismus, Toleranz und situativen Anforderungen nur begrenzt abbildet. Daraus erwächst Verantwortung für präventive Aufklärung und nüchterne Mobilitätsentscheidungen, statt sich im Grenzwert‑Formalismus einzurichten – Rechtsklarheit darf nicht als Einladung zur Risikokalkulation missverstanden werden.kriminalpolizei
Zweitens droht Mischkonsum zur Achillesferse der Verkehrssicherheit zu werden: Die Kombination von Alkohol und THC ist unberechenbar, die gesetzliche Antwort folgerichtig streng – inklusive Alkoholverbot für Cannabiskonsumierende am Steuer. Das ist richtig, solange es verhältnismäßig, evidenzbasiert und kommunikativ eingebettet bleibt, denn pauschale Straflogik ohne differenzierte Risikoaufklärung verfehlt Verhaltensprävention. Entscheidend ist eine lernende Praxis: Evaluation neuer Messverfahren (z. B. Mundhöhlenflüssigkeit) und transparente Daten zu Unfallrisiken, um Maßnahmen fortlaufend an Evidenz zu koppeln.bmv
Drittens macht die Berliner Debatte um strengere Regeln sichtbar, wie fragil der bundesweit gefundene Ausgleich ist: Föderale Verschärfungen können Schutzlücken schließen – oder zu Flickenteppichen und Rechtsunsicherheit führen. Nötig ist eine klare Leitplanke: Einheitliche Mindeststandards mit Raum für regionale Evidenz, aber ohne symbolpolitische Überbietung zulasten von Grundrechten und planbarer Mobilität. Kurz: Sicherheit ja, aber mit Maß, Wissenschaft und Respekt vor rechtsstaatlicher Konsistenz – sonst verliert die Reform den legitimatorischen Boden, den sie mühsam gewonnen hat.tagesschau
Fazit
Der gesetzliche THC‑Grenzwert von 3,5 ng/ml markiert eine überfällige Zäsur: Weg vom bloßen Nachweis, hin zu einer Schwelle, die verkehrsrelevante Wirkung wahrscheinlicher abgrenzt – flankiert von Null‑Toleranz für junge Fahrende und strengen Regeln gegen Mischkonsum. Die Gerichte ziehen mit und wenden das mildere Recht konsequent an, was Altfällen unterhalb der Grenze eine zweite Chance eröffnet und die neue Linie in der Praxis verankert. Doch der Grenzwert ist keine Erlaubnis zum Fahren unter Wirkung: Präzise Risikokommunikation, Evaluationsbereitschaft und die Bereitschaft zu nüchterner Mobilität bleiben die eigentlichen Sicherheitsgaranten. Politisch braucht es Stabilität und Augenmaß – einheitliche Standards, evidenzbasierte Weiterentwicklung und Respekt vor Verhältnismäßigkeit –, damit der gefundene Ausgleich nicht in föderaler Symbolpolitik zerfasert. Wer auf der sicheren Seite sein will, trennt Konsum und Steuer strikt, plant Alternativen und lässt Grenzwerte das sein, wofür sie gedacht sind: Leitplanken, nicht Einladung.anwaltverein
Quellen der Inspiration
- Bundesministerium für Digitales und Verkehr (2024 – Begründung, Daten, Inkrafttreten der Grenzwertregel)
https://www.bmv.de/SharedDocs/DE/Artikel/K/sechstes-gesetz-zur-aenderung-des-strassenverkehrsgesetzes-verkuendet.html - Deutscher Bundestag (2024 – Politischer Prozess und Mehrheitsverhältnisse)
https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2024/kw23-pa-verkehr-cannabis-1003426 - Oberlandesgericht Oldenburg (2024 – Lex‑mitior‑Freispruch und Folgen für Altfälle)oberlandesgericht-oldenburg.niedersachsen
https://oberlandesgericht-oldenburg.niedersachsen.de/startseite/aktuelles/presseinformationen/freispruch-nach-gesetzesanderung-neue-cannabis-regeln-bewahren-vor-fahrverbot-235488.html - ADAC (2024 – Verkehrssicherheitsbewertung, Sanktionen, Präventionsbotschaft)
https://www.adac.de/news/cannabis-am-steuer/ - Tagesschau/rbb (2025 – Debatte um strengere Landesregeln in Berlin)
https://www.tagesschau.de/inland/regional/berlin/rbb-berlin-will-strengere-cannabis-grenzwerte-fuer-autofahrer-100.html - BMG: FAQ Cannabisgesetz (2025 – Überblick zu Zielen und Schutzmechanismen)
https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/cannabis/faq-cannabisgesetz.html - Kriminalpolizei – Die verkehrsrechtliche Cannabis‑Reform (2024 – Juristische Einordnung des § 24a StVG n. F.)
https://www.kriminalpolizei.de/ausgaben/2025/detailansicht-2025/artikel/die-verkehrsrechtliche-cannabis-reform.html?tx_ttnews%5BsViewPointer%5D=2&cHash=63ceb3c640b31d2fb9ff23774a5f79cb