Medizinisches Cannabis: Von der Diagnose zum Rezept – ein pragmatischer Leitfaden

Der digitale Zugang zu medizinischem Cannabis steht vor dem Aus – während Patienten 2025 noch bequem per Videosprechstunde und Versand versorgt werden, droht ab 2026 die Rückkehr zur Präsenzpflicht.

Der liberale Status quo – so funktioniert es 2025

Seit dem 1. April 2024 hat sich der Zugang zu medizinischem Cannabis grundlegend vereinfacht. Cannabisblüten und -extrakte wurden aus dem Betäubungsmittelgesetz herausgenommen und werden seither wie andere verschreibungspflichtige Arzneimittel behandelt. Fast jeder Arzt – ausgenommen Zahn- und Tierärzte – darf Cannabis auf einem normalen Rezept oder per E-Rezept verschreiben, wenn alternative Therapien nicht greifen und eine positive Wirkung zu erwarten ist. Diese Regelung hat eine boomende Telemedizin-Landschaft ermöglicht: Plattformen wie CannGo, CanDoc, Dransay oder Nordleaf bieten unkomplizierte Zugänge per Online-Fragebogen oder Videosprechstunde.

Der Ablauf ist denkbar einfach. Patienten füllen einen medizinischen Fragebogen aus, schildern ihre Symptome und bisherige Therapieversuche, zahlen eine Beratungsgebühr zwischen 14,99 und 50 Euro und erhalten – sofern medizinisch indiziert – ein digitales Rezept. Dieses wird entweder direkt an eine Wunschapotheke übermittelt oder kann selbst in einer Versandapotheke eingelöst werden. Die Medikamente kommen dann per Post nach Hause – eine Versorgungsform, die besonders für Menschen in ländlichen Regionen, mobilitätseingeschränkte Patienten und Berufstätige einen niedrigschwelligen, diskreten Zugang geschaffen hat.

Die Zahlen belegen den Erfolg dieser Liberalisierung. Während 2019 rund 267.000 Verordnungen registriert wurden, lag die Zahl 2023 bereits bei über 480.000 Rezepten – eine Verdopplung innerhalb von vier Jahren. Besonders auffällig: Die Importe von Cannabisblüten sind vom ersten zum zweiten Halbjahr 2024 um 170 Prozent gestiegen, während die Verordnungen zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen im gleichen Zeitraum nur um 9 Prozent zunahmen. Diese Diskrepanz deutet darauf hin, dass ein erheblicher Teil der Rezepte auf Privatbasis über telemedizinische Plattformen ausgestellt wird – ein Umstand, der die Bundesregierung alarmiert hat.

Die geplante Wende – Versandverbot und Präsenzpflicht ab 2026

Das Bundesgesundheitsministerium hat im Juli 2025 einen Referentenentwurf vorgelegt, der die liberale Praxis radikal umkehren würde. Zwei zentrale Verschärfungen stehen im Raum. Erstens soll die Verschreibung von Cannabisblüten künftig nur noch nach einem persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt in der Praxis oder beim Hausbesuch erlaubt sein – reine Videosprechstunden wären für die Erstverschreibung ausgeschlossen. Für Folgerezepte müsste mindestens einmal innerhalb von vier Quartalen ein persönlicher Kontakt stattgefunden haben. Zweitens soll der Versandhandel mit Cannabisblüten komplett verboten werden, sodass Patienten ihre Medikamente nur noch vor Ort in der Apotheke abholen könnten.

Die Begründung der Regierung: Wegen des Suchtrisikos und der fehlenden arzneimittelrechtlichen Zulassung sei ein persönlicher Kontakt für die Patientensicherheit unverzichtbar. Die massiv gestiegenen Importe bei gleichzeitig moderatem Anstieg der Kassenrezepte legten nahe, dass vermehrt Privatrezepte über telemedizinische Plattformen ohne ausreichenden Arztkontakt ausgestellt werden – möglicherweise auch an Konsumenten, die Cannabis nicht primär medizinisch nutzen. Mit den Verschärfungen sollen Missbrauchspotenzial reduziert, Patientensicherheit und Jugendschutz gestärkt werden.

Interessanterweise sollen die geplanten Regelungen nur für Cannabisblüten, nicht jedoch für Extrakte mit deutlich höherer THC-Konzentration gelten. Der Deutsche Hanfverband kritisiert diese Ungleichbehandlung scharf: Es erschließe sich nicht, warum Extrakte weiterhin telemedizinisch verschrieben und versendet werden dürfen, während Blüten – die durch einfache Inhalation durchaus ihre medizinische Berechtigung haben – diskriminiert werden. Der Verdacht liegt nahe, dass die einseitig negative Darstellung der Blüten vor allem darauf zurückzuführen ist, dass sie dem traditionellen Genussmittel ähneln.

Branche warnt vor Versorgungskollaps und Schwarzmarkt

Die Reaktionen aus der Branche sind einhellig ablehnend. Der Verband der Cannabis versorgenden Apotheken (VCA) kritisiert, das Versandverbot gehe zu weit und führe zu Versorgungslücken, da nur rund 2.500 bis 3.000 Apotheken derzeit die Cannabisversorgung übernehmen – viele davon versenden, andere bieten keine Flächenversorgung an. Die Sanity Group, ein auf medizinisches Cannabis spezialisiertes Berliner Unternehmen, warnt vor einer Rückkehr zum Schwarzmarkt, da besonders Patienten in ländlichen Regionen und mobilitätseingeschränkte Personen auf den Versand angewiesen sind. Eine Umfrage im Auftrag der Bloomwell Group untermauert diese Befürchtung: 42 Prozent der Befragten würden auf den Schwarzmarkt zurückgreifen, wenn der digitale Zugang entfällt, weitere 38 Prozent würden wieder auf nicht-medizinisches Cannabis aus dem Freizeitgebrauch umsteigen.

Aus wirtschaftlicher Perspektive droht ein massiver Einbruch. Patrick Hoffmann, Vorstand der börsennotierten Firma Cantourage, erwartet einen Marktrückgang von 40 bis 60 Prozent, sollte das Gesetz wie geplant umgesetzt werden. Adrian Fischer, Vorstandschef von Demecan, kann sich sogar noch einen höheren Rückgang vorstellen und spricht von einer “Rückabwicklung eines der wenigen wachsenden Märkte in Deutschland”. Tausende Arbeitsplätze und Hunderte Millionen Euro Steuereinnahmen stünden auf dem Spiel. Telemedizinische Plattformen, die Patienten nach Ausfüllen eines Online-Fragebogens ein Rezept ausstellen, würden bei Umsetzung des Referentenentwurfs weitgehend ihre Geschäftsgrundlage verlieren.

Der Deutsche Hanfverband bezeichnet die geplanten Änderungen als “Rückschritt in vordigitale Zeiten”. Die telemedizinische Verschreibung und der Online-Versand waren auch schon vor dem MedCanG in BtMG-Zeiten möglich – sie nun abzuschaffen, während die Bundesregierung ansonsten beim Rückstand in Sachen Digitalisierung aufholen will, sei anachronistisch und werde international für Kopfschütteln sorgen. In Kanada, Israel oder den Niederlanden sei Telemedizin bei Cannabis längst etabliert und akzeptiert. Ein vollständiges Versandverbot erscheint aus dieser Perspektive wie ein Sieg der Apothekerlobby über moderne Versorgungsstrukturen.

Wer profitiert von medizinischem Cannabis

Die wissenschaftliche Evidenz für medizinisches Cannabis ist unterschiedlich stark ausgeprägt. Als gut belegt gelten chronische Schmerzen, Spastizität bei Multipler Sklerose und Paraplegie, bestimmte therapieresistente Epilepsieformen, Übelkeit und Erbrechen nach Chemotherapie sowie Appetitsteigerung bei HIV/AIDS-Patienten. Bei Multipler Sklerose beispielsweise aktivieren die Cannabinoide THC und CBD die CB1-Rezeptoren im zentralen Nervensystem und reduzieren so die übermäßige Erregbarkeit der Nerven. Eine retrospektive Analyse von 141 MS-Patienten fand, dass 72 Prozent der Behandelten eine Schmerzlinderung erfuhren und signifikant weniger Opioide benötigten.

Als möglich, aber noch nicht ausreichend belegt gelten Anwendungen bei Angststörungen, Schlafstörungen, Tourette-Syndrom und ADHS. Bei Depressionen, Psychosen, Demenz, Glaukom und chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen gibt es nach aktuellem Stand keine wissenschaftlich belegte Wirksamkeit. Die Verordnung bei diesen Indikationen wäre ein individueller Heilversuch ohne gesicherte Evidenzbasis. Die Entscheidung für eine Cannabis-Therapie sollte daher immer eine fundierte ärztliche Einzelfallentscheidung sein.

Kostenübernahme durch die Krankenkasse

Wenn die Krankenkasse die Kosten übernehmen soll, muss vor Therapiebeginn ein Antrag auf Kostenübernahme gestellt werden. Die Krankenkasse prüft den Antrag – oft durch Weiterleitung an den Medizinischen Dienst – und entscheidet innerhalb von drei bis fünf Wochen. Die Voraussetzungen: Es muss eine schwerwiegende Erkrankung vorliegen, alternative Therapien müssen ausgeschöpft oder ungeeignet sein, und es muss eine realistische Aussicht auf spürbare Verbesserung bestehen. Trotz ärztlicher Verschreibung lehnen die Krankenkassen rund 30 Prozent der Anträge ab – meist wegen unzureichender Dokumentation bisheriger Therapieversuche oder fehlender Begründung.

Als Alternative zur Kostenübernahme können Ärzte Cannabis auf Privatrezept verordnen. Dieser Weg ist einfacher und schneller, doch die Kosten trägt der Patient selbst. Viele Patienten mit weniger schwerwiegenden Erkrankungen oder Indikationen, die Krankenkassen üblicherweise nicht akzeptieren, haben keine Chance auf ein Kassenrezept, obwohl sie durch Cannabis eine positive medizinische Wirkung erfahren. Andere zahlen lieber selbst, anstatt bei Schmerzen zunächst diverse andere Arzneimittel – darunter auch Opiate – ausprobieren zu müssen.

Basis-Infos: Medizinisches Cannabis im Überblick

  • Rechtsstatus seit April 2024: Cannabisblüten und -extrakte sind keine Betäubungsmittel mehr, Verschreibung auf normalem Rezept möglich
  • Verschreibungsberechtigt: Alle Ärzte außer Zahn- und Tierärzten
  • Darreichungsformen: Blüten (inhaliert oder vaporisiert), Extrakte (Öle, Tropfen, Kapseln), Fertigarzneimittel wie Dronabinol oder Sativex
  • Aktueller Versand: Seit April 2024 erlaubt, sofern apothekenrechtliche Anforderungen erfüllt sind
  • Telemedizin: Derzeit für Erst- und Folgeverschreibungen zulässig, persönlicher Arztkontakt nicht zwingend erforderlich
  • Verordnungszahlen: Von 267.000 Rezepten (2019) auf über 480.000 (2023) gestiegen
  • Importsteigerung: +170 Prozent vom ersten zum zweiten Halbjahr 2024

Tipps: So gelingt der Zugang – jetzt und später

  • Jetzt handeln: Wer medizinisches Cannabis benötigt und die Voraussetzungen erfüllt, sollte den aktuell noch niedrigschwelligen Zugang über Telemedizin nutzen, solange dieser noch besteht
  • Spezialisierte Ärzte suchen: Viele Hausärzte haben wenig Erfahrung mit Cannabis-Verschreibungen – spezialisierte Plattformen oder Ärzte mit Cannabinoid-Schwerpunkt bieten fundierte Beratung
  • Dokumentation sichern: Für Folgeverordnungen ist bei Umsetzung des Referentenentwurfs mindestens einmal innerhalb von vier Quartalen ein persönlicher Arztkontakt erforderlich – entsprechende Unterlagen sollten sorgfältig aufbewahrt werden
  • Alternative Zugangswege prüfen: Falls Telemedizin wegfällt, könnten Anbauvereinigungen (Cannabis Social Clubs) für manche Patienten eine Option sein – allerdings sind diese primär für Konsumenten konzipiert und unterliegen eigenen Beschränkungen
  • Kassenantrag stellen: Trotz Ablehnungsquote von 30 Prozent lohnt sich ein sorgfältig vorbereiteter Antrag bei schwerwiegender Erkrankung – die Kostenersparnis ist erheblich

Fakten: Rechtslage und politische Entwicklung

  • 1. April 2024: Inkrafttreten des Medizinal-Cannabisgesetzes (MedCanG), Herausnahme aus dem BtMG
  • 1. April 2024: Parallel Inkrafttreten des Konsumcannabisgesetzes (KCanG), Erlaubnis von bis zu drei Pflanzen und 50 Gramm Besitz für Volljährige
  • 18. Juni 2025: Bundesgesundheitsministerium legt Referentenentwurf zur Änderung des MedCanG vor (Versandverbot, Präsenzpflicht)
  • 1. August 2025: Stellungnahme des Deutschen Hanfverbands gegen den Entwurf
  • 1. Oktober 2025: Geplante Veröffentlichung des ersten Zwischenberichts zur Evaluation des KCanG
  • April 2025: Koalitionsvertrag CDU/CSU/SPD sieht “ergebnisoffene Evaluierung” im Herbst 2025 vor – CSU-Forderung nach Rücknahme der Legalisierung wurde nicht aufgenommen
  • 1. April 2026: Spätestens Veröffentlichung des Zwischenberichts zu cannabisbezogener organisierter Kriminalität
  • 1. April 2028: Spätestens umfassender Evaluationsbericht

FAQ: Häufige Fragen zu medizinischem Cannabis

Kann ich 2025 noch ein Cannabis-Rezept per Videosprechstunde erhalten?

Ja, Stand Oktober 2025 ist die Verschreibung von medizinischem Cannabis per Videosprechstunde weiterhin zulässig. Zahlreiche Telemedizin-Plattformen wie CannGo, CanDoc, Dransay oder Nordleaf bieten diesen Service an – meist gegen eine Beratungsgebühr zwischen 14,99 und 50 Euro. Der Prozess ist unkompliziert: Patienten füllen einen medizinischen Fragebogen aus, schildern ihre Symptome und bisherige Therapieversuche, und erhalten bei medizinischer Indikation ein digitales Rezept. Allerdings liegt ein Referentenentwurf vor, der die Erstverschreibung von Cannabisblüten per Videosprechstunde ab 2026 verbieten würde. Für Folgerezepte müsste dann mindestens einmal innerhalb von vier Quartalen ein persönlicher Arztkontakt stattgefunden haben. Ob und wann dieser Entwurf Gesetz wird, ist derzeit unklar – die politische Diskussion ist im Gange.

Was kostet medizinisches Cannabis und wer übernimmt die Kosten?

Die Kosten für medizinisches Cannabis variieren je nach Produkt und Dosierung erheblich. Bei Verschreibung auf Privatrezept trägt der Patient die vollen Kosten selbst, die sich je nach Verbrauch auf mehrere hundert Euro monatlich belaufen können. Eine Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenkasse ist möglich, setzt aber einen Antrag und dessen Genehmigung voraus. Die Voraussetzungen: schwerwiegende Erkrankung, ausgeschöpfte oder ungeeignete Alternativtherapien, realistische Aussicht auf spürbare Verbesserung. Die Krankenkasse prüft den Antrag – oft durch den Medizinischen Dienst – und entscheidet innerhalb von drei bis fünf Wochen. Trotz ärztlicher Verschreibung werden rund 30 Prozent der Anträge abgelehnt, meist wegen unzureichender Dokumentation oder fehlender Begründung. Private Krankenversicherungen handhaben die Kostenübernahme unterschiedlich – hier empfiehlt sich eine individuelle Klärung mit der Versicherung.

Wie wirkt sich die geplante Gesetzesänderung auf bestehende Patienten aus?

Bestehende Patienten, die derzeit über Telemedizin-Plattformen versorgt werden, müssten bei Umsetzung des Referentenentwurfs auf eine Versorgung vor Ort umsteigen. Für Folgerezepte von Cannabisblüten wäre mindestens einmal innerhalb von vier Quartalen ein persönlicher Arztkontakt in der Praxis oder beim Hausbesuch erforderlich. Der Versand von Cannabisblüten wäre komplett verboten – Patienten müssten ihre Medikamente persönlich in der Apotheke abholen. Da Standard-Apotheken die verschriebene Sorte üblicherweise nicht vorrätig haben, wären in der Regel zwei Apothekenbesuche nötig: einmal bestellen, einmal abholen. Besonders betroffen wären mobilitätseingeschränkte Patienten und Menschen in ländlichen Regionen mit geringer Apothekendichte. Interessanterweise sollen die geplanten Einschränkungen nur für Cannabisblüten, nicht jedoch für Extrakte gelten – Patienten, die auf Extrakte umsteigen, könnten weiterhin telemedizinisch versorgt werden. Ob, wann und in welcher Form die Änderungen tatsächlich kommen, ist derzeit politisch umstritten und Gegenstand der laufenden Evaluierung.

Welche Alternativen gibt es, wenn Telemedizin wegfällt?

Wenn die telemedizinische Verschreibung von Cannabisblüten tatsächlich wegfällt, bleiben mehrere Optionen. Erstens können Patienten zu einem Hausarzt oder Facharzt mit Erfahrung in Cannabis-Therapie wechseln – allerdings haben viele Ärzte wenig Erfahrung oder zeigen aus verschiedenen Gründen Zurückhaltung bei der Verschreibung. Zweitens könnten Patienten auf Cannabis-Extrakte statt Blüten umsteigen, da für Extrakte die geplanten Einschränkungen nicht gelten sollen – diese könnten weiterhin telemedizinisch verschrieben und versendet werden. Drittens besteht theoretisch die Möglichkeit, einer Anbauvereinigung (Cannabis Social Club) beizutreten, die seit April 2024 bis zu 500 Mitglieder haben darf. Allerdings sind die Clubs primär für Konsumenten, nicht für Patienten konzipiert, unterliegen strikten Regulierungen und einem Versandverbot – Mitglieder müssen vor Ort abholen. Viertens könnte – trotz rechtlicher Bedenken – der Anbau von bis zu drei Pflanzen in Privatwohnungen eine Option sein, was das KCanG seit April 2024 erlaubt. Fünftens warnen Experten vor einer Rückkehr zum Schwarzmarkt: 42 Prozent der Befragten einer Umfrage gaben an, bei Wegfall des digitalen Zugangs auf den Schwarzmarkt zurückzugreifen.

Kritik: Drei grundlegende Probleme der geplanten Verschärfung

Die Verschärfung diskriminiert Blüten ohne plausible Begründung

Die geplanten Einschränkungen sollen ausschließlich für Cannabisblüten, nicht jedoch für Extrakte gelten – eine Ungleichbehandlung, für die es keine medizinisch-fachliche Rechtfertigung gibt. Extrakte haben oft eine deutlich höhere THC-Konzentration als Blüten, dennoch dürfen sie weiterhin telemedizinisch verschrieben und versendet werden. Die Begründung des Bundesgesundheitsministeriums stützt sich lediglich auf den massiven Importanstieg von Blüten, ohne Daten zur Einfuhr von Extrakten oder zur Verarbeitung von Blüten zu Extrakten innerhalb Deutschlands zu nennen. Der Deutsche Hanfverband sieht darin eine einseitig negative Darstellung der Blüten im Vergleich zu anderen Cannabismedikamenten, weil sie dem traditionellen Genussmittel ähneln – obwohl Blüten durch einfache Inhalation durchaus ihre medizinische Berechtigung haben und international anerkannt sind. Diese Diskriminierung erinnert an ideologische Vorbehalte und schadet der evidenzbasierten Medizin, die sich an Wirksamkeit und Verträglichkeit orientieren sollte, nicht an der Darreichungsform.

Die Maßnahme trifft Patienten härter als Missbrauch

Die Verschärfung zielt vorgeblich auf Missbrauchsverhinderung, wird aber vor allem diejenigen treffen, die Cannabis tatsächlich aus medizinischen Gründen benötigen. Viele Hausärzte haben wenig Erfahrung oder zeigen aus verschiedenen Gründen Zurückhaltung bei der Verschreibung – Patienten müssen oft reihenweise Praxen abtelefonieren und erhalten überall Absagen. Die Telemedizin war für viele ein Segen, der ihnen endlich einen legalen Zugang zur Medizin verschaffte, ohne verzweifelt nach einem verschreibungsbereiten Arzt suchen zu müssen. Wenn dieser Zugang nun wegfällt, droht eine Rückkehr zum Ärztehopping – mit Belastung für ohnehin chronisch überlastete Hausarztpraxen – oder zum Schwarzmarkt. Besonders hart trifft es mobilitätseingeschränkte Patienten und Menschen in ländlichen Regionen, die auf Versand angewiesen sind. Da Standard-Apotheken verschriebene Cannabissorten üblicherweise nicht vorrätig haben, wären für jedes Rezept zwei Apothekenbesuche nötig – eine zusätzliche finanzielle und umweltschädliche Belastung durch Fahrtkosten. Eine Statista-Umfrage zeigt die zu erwartenden Folgen: 42 Prozent der Befragten würden bei Wegfall des digitalen Zugangs auf den Schwarzmarkt zurückgreifen, weitere 38 Prozent auf nicht-medizinisches Cannabis aus dem Freizeitgebrauch umsteigen.

Die Lösung verfehlt das eigentliche Problem

Das eigentliche Problem ist nicht der “Missbrauch” telemedizinischer Plattformen, sondern das Fehlen legaler Bezugswege für Konsumenten, die Cannabis nicht primär medizinisch nutzen. Die geplante Verschärfung bekämpft lediglich Symptome, anstatt die Ursache anzugehen. Wer gesunde Cannabiskonsumenten nicht auf dem Schwarzmarkt und auch nicht in der Apotheke sehen will, muss für konkurrenzfähige und flächendeckende Alternativen sorgen – etwa durch Cannabis-Fachgeschäfte, wie sie in anderen Ländern längst existieren. Bei der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) liegen Anträge von Städten wie Frankfurt, Hannover und Berlin auf EU-konforme Modellprojekte für kommunale Cannabis-Abgabe vor, doch der Prozess kommt nicht voran. Gleichzeitig werden Anbauvereinigungen durch überbordende Bürokratie und kommunale Verhinderungstaktiken ausgebremst. Den Vereinen ist es nicht gestattet, Cannabis an Mitglieder auf dem Postweg zuzustellen, was ihnen einen erheblichen Wettbewerbsnachteil verschafft. Potenzielle Mitglieder, die weit entfernt von der Abgabestelle wohnen, greifen so eher auf den Schwarzmarkt oder eben auf eine Online-Apotheke zurück. Indem die Regierung die medizinische Versorgung erschwert, ohne gleichzeitig legale Konsumwege zu schaffen, stärkt sie de facto den Schwarzmarkt – eine Maßnahme, die dem erklärten Ziel der Cannabispolitik seit 2024 fundamental widerspricht.

Fazit: Zwischen Fortschritt und Rollback

Medizinisches Cannabis steht in Deutschland an einem Scheideweg. Die Liberalisierung vom April 2024 hat den Zugang erheblich erleichtert und eine moderne, digitale Versorgungslandschaft ermöglicht. Patienten profitieren von niedrigschwelligen Zugängen per Videosprechstunde, kompetenten spezialisierten Ärzten auf Telemedizin-Plattformen und bequemer Versandoption. Doch der geplante Referentenentwurf würde diesen Fortschritt zunichtemachen und die Versorgung in vordigitale Zeiten zurückwerfen. Die Verschärfungen – Präsenzpflicht für Erstverordnungen, Versandverbot – würden besonders vulnerable Gruppen treffen und nach Einschätzung von Experten zu Versorgungsengpässen und einer Rückkehr zum Schwarzmarkt führen.

Die politische Zukunft des medizinischen Cannabis ist ungewiss. Der Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD sieht für Herbst 2025 eine “ergebnisoffene Evaluierung” vor – die CSU-Forderung nach kompletter Rücknahme der Legalisierung wurde nicht aufgenommen. Der erste Zwischenbericht zur Evaluation des Konsumcannabisgesetzes ist für den 1. Oktober 2025 vorgesehen, ein umfassender Bericht bis April 2026. Unionspolitiker drängen bereits auf Verschärfungen beim Jugendschutz und verweisen auf den Zwischenbericht. Ob und in welcher Form die Änderungen am MedCanG kommen, hängt vom politischen Willen und den Evaluierungsergebnissen ab.

Aus Patientensicht bleibt die Empfehlung, den aktuell noch niedrigschwelligen Zugang zu nutzen, solange er besteht. Gleichzeitig sollten Betroffene die politische Diskussion aufmerksam verfolgen und sich gegebenenfalls in Patientenverbänden oder durch Stellungnahmen einbringen. Die Debatte um medizinisches Cannabis ist auch eine Debatte um moderne Versorgungsstrukturen, Digitalisierung im Gesundheitswesen und den Umgang mit vulnerablen Patientengruppen – und verdient eine differenzierte, evidenzbasierte Betrachtung jenseits ideologischer Vorbehalte.

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